Weltmeister? Nur bei der Doppelmoral

Laut einer INSA-Umfrage für BamS schauen 43% der Deutschen kein einziges Spiel der Fußball-WM in Katar. 55% derjenigen, die sie nicht schauen, geben an, sie aktiv zu boykottieren: aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in Katar, aufgrund der toten Gastarbeiter beim Bau der Stadien. Und auch im persönlichen Umfeld bemerkt man immer öfter Leute, die sich regelrecht damit brüsten, die WM zu boykottieren: „So eine WM der Schande darf man ja nicht unterstützen!“„Da muss doch der FIFA mal gezeigt werden, dass das nicht geht!“

Eins haben sie alle gemein: Sie sind der Meinung, dass ihr Boykott, ihr Nicht-Anschauen eines Fußballspiels, sie zu ethischeren und moralischeren Menschen macht. An dieser Stelle soll ganz ausdrücklich gesagt sein: Die WM hätte niemals nach Katar vergeben werden sollen, die Bedingungen unter denen die Stadien gebaut wurden, waren unwürdig und die Gesetze vor Ort sind mindestens rückständig.

Aber ein Boykott ist gleich aus mehreren Gründen sinnlos: Zuerst: Wenn Fußball-Fans das ganze Jahr über stolz mit Trikots von Clubs durch die Gegend rennen, die von Qatar Airways gesponsert werden (siehe FC Bayern, der jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag aus Doha für das Sponsoring kassiert) und sich jetzt plötzlich an Katar stören, ist das eine fast unerträgliche Doppelmoral. Unsere Innenministerin sitzt währenddessen demonstrativ mit der One-Love-Binde auf der Tribüne, um gegen die homophoben Gesetze in Katar und die Intoleranz der FIFA zu demonstrieren und gleichzeitig zu zeigen, wie weltoffen und liberal wir in Deutschland doch sind. Die Bundesregierung verkündet dann genau einen Tag später einen Gas-Deal mit Katar. Ein Vorgehen, dass ich persönlich zutiefst anmaßend finde: Auf der einen Seite seid ihr nicht gut genug, eine WM auszurichten, denn das dürfen nur die Länder, die den moralischen Grundsätzen des Westens entsprechen, für das Gas nehmen wir euch aber dann trotzdem gerne, wichtiger als ein warmes Wohnzimmer sind die Arbeiter in Katar dann schließlich auch wieder nicht.

Ulf Poschardt, Chefredakteur der WELT, kommentiert das mit seinem Tweet vom 29.11.2022 treffend: „Werde zuhause beim Heizen mit dem Gas aus Katar stets diese [One-Love-] Binde tragen“.

Zu guter Letzt müssen wir uns aber auch eingestehen, dass ein Boykott schlicht und einfach nichts bringen kann: Die TV-Rechte sind vergeben, die Firmenlogos auf den Banden angebracht, die Werbeeinahmen sind geflossen: Das Problem ist nicht die Vergabe dieser WM, das Problem ist eine korrupte FIFA, ein zwielichtiges System, dass sich um den Weltfußball gewickelt hat. Und die „Bösen“ auf allen Seiten dieser Weltmeisterschaft haben von diesem Event längst profitiert – Boykott hin oder her. Ich habe mich deshalb auch weiterhin auf ein Fest des Fußballs gefreut, auf erstklassige Spiele und unvergessliche Momente. So moralisch falsch das von mir aus sein mag .

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